Die Geschichte hinter »Das Auge«

Am 23.05.2016 löste eine stationäre Front Gewitter aus, die von Tschechien kommend weiter nord-/nordwestwärts in den Osten Deutschlands zogen.

14:00 Uhr (MEZ). Während im Süden von Plzeň in Tschechien bereits einige erste Zellen entstanden waren, organisierte ich mit zwei Freunden aus Jena – Anke Drewitz und Markus Schmidt – das gemeinsame Storm Chasing in einem Auto. Nach dem Zusammentreffen machten wir uns auf den Weg und fuhren zunächst eine Zelle südöstlich von Chemnitz an.

17:50 Uhr. Dort trafen wir weitere Storm Chaser (Luise, Ronny und Stephan) an der Autobahn A4 in der Nähe von Berbersdorf in Sachsen. Trotz beständigem Donner sahen wir jedoch fast keine Blitze. Alles, was wir sahen, war Stratus oder Nimbostratus – eine gräulich-weiße Wand. Der Anblick war weder sicher noch fotogen. Immerhin zeigte der Niederschlagskern hinter dem Nebelvorhang über 60dbz auf dem Radar.

Ronny Kemmler, Stephan Preißler, Markus Schmidt aka SioMotion, Luise Finsterbusch, Anke Drewitz nahe Berbersdorf in Sachsen

18:00 Uhr. Mit dem eintreffenden stratiformen Regen verließen wir die Position und fuhren weiter nach Osten. Währenddessen erreichten die tschechischen Gewitter den Süden des Erzgebirges.

18:55 Uhr. Wir hatten mit der A17 eine interessante Straßenoption gefunden, die uns die Möglichkeit bot, direkt in die Tschechische Republik zu fahren. Hinter der Grenze in der Nähe von Tisá hielten wir an und blickten nach Süden auf das, was die Front eines MCS (Mesoscale Convective System) oder zumindest einige Niederschlagskerne sein sollten… enttäuschend. Wir drehten um und fuhren zurück nach Deutschland zwecks Neupositionierung.

19:30 Uhr. Der Cluster zu unserer Linken zeigte als schwache Shelf cloud etwas Struktur am Horizont. Die Zelle zu unserer Rechten bewegte sich über das Erzgebirge weiter nach Deutschland und war die stärkste Entwicklung im weiter verclusternden System. Im Norden von Dresden mussten wir entscheiden, ob wir weiter gen Norden (A13) oder Osten (A4) fahren wollten.

  • Option A13: Nordwärts zu fahren und eine potentiell fotogene Shelf cloud vor dem MCS zu dokumentieren
  • Option A4: Weiter ostwärts, um die stärkste eingebettete Zelle anzufahren

Während der Erörterung der Optionen meldete das Navi einen Stau auf der A13 (aufgrund von Straßenbauarbeiten) nur Sekunden vor der Ankunft der Abfahrt zur A4. Das machte die Entscheidung leicht. Unglücklicherweise bekamen es Luise, Ronny und Stephan nicht rechtzeitig mit und steckten nun im Stau.

Nun mussten wir schnell sein, um die Zelle rechtzeitig an einem Punkt zu treffen, der es uns noch erlaubt, einen Fluchtweg weiter nach Osten zu fahren. Die Radarsignatur verriet, dass das Gewitter in der Sächsischen Schweiz großen Hagel brachte. Und ich wollte Hagelbeulen in meinem Auto vermeiden.

20:00 Uhr. Kurz vor der Stadt Bautzen hielten wir an der Ausfahrt „Salzenforst“ in der Nähe des Dorfes Bloaschütz. Im Osten erkannten wir während der Fahrt etwas blauen Himmel, was bedeutete, dass die Sicht etwas besser und kontrastreicher wurde. Im Süden kam etwas dunkles auf uns zu.

20:05 Uhr. Warme Inflowwinde zogen in die Zelle. Wir schnappten unsere Fotoausrüstung, rannten auf das nächste Feld und begannen mit den Aufnahmen:

20:14 Uhr. Die Gestalt einer shelf cloud kam nun näher…

20:16 Uhr … und gab den Blick auf einen grünlich leuchtenden, potentiell Schaden bringenden Niederschlagskern frei.

20:17 Uhr. Gefühlt nicht von dieser Welt.

Ultraweitwinkel-Panoramaaufnahme (aus drei Bildern mit je 11mm):

20:22 Uhr. Ein letztes Foto von der turbulenten Seite hinter der Böenwalze – dem sich öffnenden „Whales Mouth“. Es wurde sehr dunkel. Das Bild ist mit 1/50, f/4 und ISO 4000 entstanden:

Während wir fotografierten, zeichnete eine Kamera im Auto den kompletten Aufzug mit:

Die Flucht

20:29 Uhr. Nun war es an der Zeit, die Flucht vor dem bedrohlich wirkenden Niederschlagskern anzutreten. Wir fuhren auf der A4 weiter gen Osten.

Das Foto hat Anke während der Fahrt gemacht

Während die Zelle weiter nord-/nordwestwärts zog, lud sie Hagel zwischen Bautzen und Bischofswerda ab. Wir flohen weiter nach Osten. Nahe Weißenberg hielten wir ein letztes Mal in tail-end-charlie-Position an und sahen einer Neuentwicklung dabei zu, wie sie in der Blauen Stunde an uns vorüberzog.

Das Chasing endete mit einigen Blitzbelichtungen und drei sehr zufriedenen Personen.

Der MCS zog weiter nach Norden. Eine beachtliche Versorgungslinie aus Cumuli führte in das System.

Resümee

In Bezug auf die deutsche Gewitterjagd war dies eines der denkwürdigen Ereignisse. Nachdem wir fast nichts als Stratus gesehen hatten, erwies sich dieser Tag als sehr überzeugend. Freude oder Frustration – manchmal kommt es darauf an, wie die Würfel fallen. Wir fingen eine niederschlagsreiche Superzelle ab, die etwa sechs Stunden lang (14-20 Uhr) lebte.

Bezüglich der medialen Aufmerksamkeit: »The Eye« (zu Deutsch: Das Auge) hat auf Youtube über 800 000 Ansichten und 20k Likes / 8k Shares auf Facebook.

Nichtsdestotrotz war dieses Ereignis ein Unwetter mit lokal über 40mm Niederschlag und zerstörerischem Hagel (bis zu 5cm im Durchmesser) in Teilen von Sachsen (ein paar Fotos, die mir aus der Region geschickt wurden, zeige ich in meinem Beitrag bei den Thüringer Storm Chaser e.V.).

Ich muss zugeben, dass ich gerne fotografiere und Zeuge dramatischer Naurphänomene bin. Aber solange / sobald die lokale Bevölkerung unter Schäden leidet, sind unsere Berichte, Dokumentationen, Informationen über Unwetter und wie man angemessen reagiert, der wichtigste Aspekt der Gewitterjagd.