Komet Neowise über dem Brocken

Als Kind durfte ich den Kometen C/1995 O1 Hale-Bopp am Nachthimmel beobachten. Es war eine derart wunderbare Erfahrung den Schweif inmitten der Sterne deutlich leuchten zu sehen, dass ich den Anblick bis heute klar erinnern kann. 25 Jahre später – denn C/2006 P1 McNaught habe ich nicht gesehen – deutete sich mit C/2020 F3 Neowise nun ein weiterer Komet an, der mit bloßem Auge sichtbar sein würde.

Nachdem Neowise den sonnennächsten Punkt bereits am 03.07. durchlaufen hatte, war er gut sichtbar am Abendhimmel. Bald begann eine muntere Motivplanung. Die Wahl fiel entlang eines anstehenden Wanderwochenendes sehr schnell auf den Harz mit dem Brockengipfel als Vordergrund. Da meine Begleitung krankheitsbedingt absagen musste, machte ich mich am Abend des 10.07. allein auf den Weg. Mithilfe von Planungsapps und Wettermodellkarten entschied ich mich, abends auf den Wurmberg bei Braunlage zu steigen. Der Komet würde von dort aus gesehen nach Mitternacht zwischen 0:15 und 1:15 Uhr in einer Höhe von nur 2 Grad über dem Brockengipfel vorüberziehen. In der zweiten Nachthälfte wollte ich dann auf die Achtermannshöhe wechseln, um eine neue Perspektive aufzunehmen. Perfekt – dachte ich. Die anfängliche Bewölkung über dem Harz sollte laut Meteogramm absinken und auf meiner Höhe von knapp 1000m üNN entsprechende Sicht sein. Soweit der Plan.

Schon unterwegs fielen leuchtende Nachtwolken auf, die allerdings mit meiner Ankunft nicht (mehr) sichtbar waren. Einerseits war es nach 23 Uhr nun recht spät und andererseits begrüßte mich der Wurmberg mit aufliegender Bewölkung und unerwartet eisigem Wind. Keine guten Aussichten. Ich zog mich in eine windstille Ecke zurück, baute vorsorglich eine von zwei Kameras auf und beobachtete gespannt das Wolkenbild. Vielleicht klappt es ja noch?

Blick vom Wurmberg auf die Wolken über dem Harz mit dem Sendemast von Torfhaus

Irgendwann gegen 1 Uhr nachts – also quasi zum Ende meines geplanten Aufnahmezeitraums – klarte es deutlich über mir auf. Endlich etwas Sicht! Jedoch trieb der Wind immer wieder Wolken über den Brockengipfel.

Die Augen waren nun seit einiger Zeit an die Dunkelheit gewöhnt, sodass ich schnell den deutlich leuchtenden Schweif über den Wolken bemerken konnte. Ich startete ein Zeitraffer in der Hoffnung, es würde nun vollständig aufklaren bzw. die Wolken mit Nachlassen des Windes weiter absinken und wenigstens zeitweise einen Blick auf den Kometen freigeben.

1:20 Uhr. Das optimale Aufnahmezeitfenster war nun vorüber. Der Komet hatte den Brockengipfel passiert. Auch wenn der Himmel über mir sternenklar war und der Wind nun deutlich abnahm, zeigte sich der Brocken in Wolken gehüllt.

Ich packte alles zusammen und wanderte mit den 15kg Gepäck wieder zurück zum Parkplatz, wo mehrere Wildschweine unweit vom Auto auf der Wiese umherstreiften. Das Zeitfenster für das zweite Motiv begann gegen 3:30 Uhr und endete mit der Dämmerung um circa 4 Uhr. In Königskrug unterhalb der Achtermannshöhe angekommen, betrat ich 2:30 Uhr den Nationalpark und wanderte die nächste Strecke. Inmitten vieler toter Fichten traf ich auf Rotwild, welches mich prüfend aus nur 10m Distanz musterte. Dankbar für diese Begegnung setzte ich meinen Weg fort und erreichte die Achtermannshöhe rechtzeitig kurz nach 3 Uhr. Als ich gerade über die letzten Klippen steigen wollte, fiel ich beinah über das Biwak zweier Wanderer im Tiefschlaf.

Wie zu Beginn auf dem Wurmberg blies auch hier ein frischer Wind. Die Wolken blieben deutlich über mir und erlaubten kaum einen Blick auf die Morgendämmerung mit dem Kometen dahinter. Schließlich sollte letzterer nun den Brocken ein weiteres Mal überqueren. Doch die aufliegende Bewölkung blieb hartnäckig und gab nur diesen vollständigen Blick auf den Kometen frei:

Leicht enttäuscht ob der verbauten Gelegenheiten stieg ich mit der zunehmenden Dämmerung wieder hinab. Der apokalyptische Anblick des vom Borkenkäfer großflächig erlegten Fichtenwaldes war beeindruckend. Auf anfängliches Schaudern folgte Zuversicht. Hier blieb weitestgehend alles so liegen, wie es die Natur vorsehen würde. Die einstigen Fichten werden irgendwann anderer Flora und Fauna Platz und Grundlage zum Leben geben.

Zurück am Parkplatz war die Sonne bereits aufgegangen. Ich fuhr meinen Wagen etwas abseits und legte mich schlafen. Keine Stunde später klopfte die Polizei am Fenster, um den abseits stehenden Jenaer mal genauer unter die Lupe zu nehmen. Mit dem Schlaf sollte es anschließend nichts mehr werden …

Nach dem Vormittag entschied ich, einen weiteren Versuch in Sachen „Brocken-Transit“ für die folgende Nacht anzugehen. Das Wetter sollte angenehmer werden (geringere Taupunkte, weniger Wind) und die Position des Kometen hatte sich nur unwesentlich verändert. Ich arbeitete tagsüber und fand mich abends auf dem Parkplatz des Wurmbergs wieder. Der Himmel war klar. Nach einem halbstündigen Aufstieg konnte ich es kaum glauben: von Westen zog Bewölkung auf. Die Überreste eines einzelnen Schauers bei Goslar zogen im Schneckentempo auf mich zu. Während ringsherum keine Wolke zu sehen war, wurde diese eine zum Verhängnis. Durch die geringe Verlagerungsgeschwindigkeit des Schauers war das neuerliche Unternehmen (Komet zwischen 0:25 und 1:25 Uhr in 5 Grad Höhe über dem Brocken fotografieren) quasi unerreichbar.

Ich hockte wieder in meiner windstillen Ecke auf dem Wurmberg und überlegte, ob ich knappe 2 Stunden auf aufklarenden Himmel hoffen oder mit der sich bemerkbar machenden Übermüdung abbrechen sollte.

Einigermaßen enttäuscht trat ich den Rückweg an, um auf diesem sogar noch leicht von oben begossen zu werden. Am Fuße des Berges sah ich, wie der Schauer allmählich mehr Himmel über dem Horizont Richtung Nordwesten freigab. Es dürfte nicht mehr allzu lang dauern, dann müsste der Komet unter der Wolke zum Vorschein kommen – dachte ich. So blieb ich an Ort und Stelle stehen und beobachtete den ganz langsam breiter werdenden Streifen über dem klar sichtbaren Brockengipfel. Wieder war der Aufnahmezeitraum so gut wie verstrichen, da passierte es. Erst ganz zaghaft – dann sehr deutlich – kam der hellleuchtende Komet unter der Wolke hervor. Ich war glücklich und aufgeregt. Erst baute ich eine, bald die zweite Kamera auf und versuchte in den wenigen, verbleibenden Minuten noch ansprechende Perspektiven aufzuzeichnen. Diese eine hat mich besonders fasziniert:

Die Lichtverschmutzung von Bad Harzburg tauchte die Wolken der Szenerie in einen satten gelblich-orangenen Farbton. Zunächst irritiert von den Farben fand ich sie auf den zweiten Blick sehr versöhnlich. Der an diesen zwei Tagen für mich fast unerreichbar gewordene Komet schaute vorsichtig hinter der Altocumulus-Wolke auf den Brocken hinab. Es war mystisch.

Doch an Feierabend war nicht zu denken. Es klarte von Westen her weiter auf und ich konnte mit dem Standort bei Königskrug / Achtermannshöhe Brocken und Komet ein weiteres Mal zusammenbringen. Also erneut die Treppe runter, zum Auto (heute keine Wildschweine), nach Königskrug, um den Kometen direkt am Parkplatz bei einsetzender Dämmerung um 2:30 Uhr vollständig mit Gas- und Staubschweif zu erblicken.

Es folgten einige spontane Bildkompositionen an verschiedenen, fußläufigen Standorten:

Und sieh an! Plötzlich waren die Wolken wieder wohlgesonnen. Ein längeres Altocumulus-Feld bot sich perfekt an, um die sich zunehmend voneinander entfernenden Objekte (Brocken und Komet) per Brückschlag zu verbinden oder bewusst qua Bildaufteiltung zu trennen.

Ich fotografierte bis die Dämmerung den Kometen vollends verborgen und damit den neuen Tag eingeläutet hatte. Nach einem starken Kaffee am Auto ging es zurück nach Jena.

Als ich die wenigen vorhandenen Zeitrafferschnipsel sah, musste ich schmunzeln. Nach all den hunderten, perfekten Kometenfotos im Internet boten diese verdeckten, unglücklichlichen Aufnahmen ein völlig konträres Bild:

Resümee

In den nachfolgenden Tagen kribbelte es wiederholt in den Fingern, das entgangene Bild ein drittes Mal in Angriff zu nehmen. Aus unterschiedlichen Gründen sollte es jedoch bei genau diesem zweitägigen Versuch bleiben.

Der nach Perfektion strebende Teil in mir sehnt nach wie vor die Wunschbildkomposition herbei. Doch ein weiterer sieht auch die einzigartige Verkettung an Umständen, die zu den oben gezeigten Bildern geführt haben. Vieles war keineswegs intendiert. An Aufgeben und die Sinnfrage dachte ich mehrfach. Bei all der Planung, den glücklichen und widrigen Umständen bleibt der permanent geführte innere Dialog mit dem Motiv als explorativer Weg zum Ziel. Konserviert man die wohlige Erwartungshaltung trotz Rückschlägen und bewahrt sich die Offenheit, spontan vom Plan abzuweichen (da das Motiv quasi etwas anderes mit einem vorzuhaben scheint), offenbaren sich ganz neue Möglichkeiten.

In der Konsequenz bin ich sehr dankbar für diese zwei Tage und schaue mir mit Freude die zahlreichnen und vor allem technisch weitaus ausgereifteren Aufnahmen von Kolleg*innen an, deren geplantes Bild in Erfüllung ging. Lassen Sie mich wissen, wie Ihr Umgang mit Rückschlägen und Herausforderungen in Sachen Fotografie aussieht und wie Ihre Begegnung mit dem Kometen war. Viele Grüße Marco Rank