Tornado Alley Log 2023

Tornado Alley Log 2023
Endlich ist es wieder so weit! Zwischen Mai und Juni werden wir (ein Team des Thüringer Storm Chaser e.V. – hier geht es zum gemeinsamen Blog) nach langer Pause die schönsten Gewitter des Planeten in der Weite der amerikanischen Prärie dokumentieren. Dieses “Log”-Buch (bzw. Tagebuch) zeigte erste Highlights, wie wir sie abends im Hotelzimmer nach langer Fahrt kurzum zusammenstellen können. Zur Orientierung für die Lage wird die Risikoeinschätzung (Convective Outlook) des Storm Prediction Centers (kurz: SPC) nach dem Datum abgekürzt angefügt. Vgl. Probabilistik.
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2023-05-24 Hinflug. Nach Anreise mit Bahn und Übernachtung in München beginnt der Zauber mit dem Flug nach Denver (Colorado) um 16:05 Uhr von Terminal 2. Die Boing 787-9 des United Airlines Fluges UA761 bringt uns sicher über den großen Teich. Das erste Highlight stellt der Flug entlang der Nordseeküste dar. Wir sehen die Halbinsel Eiderstedt mit St. Peter Ording und können mit bloßem Auge den Leuchtturm Westerheversand in der malerischen Landschaft des Nationalparks Wattenmeer erspähen. Es folgen die Halligen, Amrum, Sylt und Teile Dänemarks bis wir vor Blavand weiter nach Nordwesten fliegen. Die unverwechselbare Schönheit des ewigen Eises von Grönland bis Kanada mit riesigen schneebedeckten Berggipfeln und weiten Meeresflächen hält uns in ihrem Bann.




2023-05-25 ENH Roy-Superzelle. Um 4:30 Uhr wachen wir voller Tatendrang im ersten Motel in Denver auf. Nach einem ausgiebigen Frühstück richten wir unser Auto mit allerhand Technik zur Wetterbeobachtung ein und erledigen Einkäufe bei Walmart und Verizon, um schließlich die 4,5 h Fahrt nach Clayton, New Mexico (dem heutigen Zielgebiet) anzutreten. Wir beobachten die ersten kräftigen Entwicklungen von Raton, NM aus kommend (westlich des Sugarite Canyon State Parks) in Grenville, NM am Highway 87. Hier sind wir uns zunächst unsicher, welche der Entwicklungen (die nördlichen oder südlichen) das Rennen machen. Beim Beobachten und Warten bietet sich die Gelegenheit einige heimische Vögel zu fotografieren, u.a. Ohrenlerchen und Keilschwanz-Regenpfeifer. Wir entscheiden uns schließlich eine rotierende Gewitterzelle im Südwesten bei Roy, NM anzufahren, was im Anbetracht des fortgeschrittenen Tages sportlich war. Gerade so zum Sonnenuntergang gelang es uns, dem Gewitter der Begierde zu begegnen. Friedlich rotierte die Superzelle nebst Grundstück mit Windrad im letzten Sonnenlicht über der Prärie, während über uns riesige Mammatus-Wolken den Eisschirm verzierten. Mit Einbruch der Dunkelheit begann schließlich die Weiterfahrt ins Motel nach Tucumcari, NM. Auf dem Weg versperrten uns einige Unwetter den Weg. Regelmäßig mussten wir anhalten um dem Hagel (größer als 2 cm) Vortritt zu gewähren. Wir erhielten sogar eine Warnmeldung vor ‚Baseball-sized hail‘ einer Superzelle über unserem Motel. Die lange Fahrt im Starkregen, unter dem Geräusch der auf dem Autoblech zerschellenden Hagelschlossen und dem permanenten Stroboskopleuchten der Blitze war ausgesprochen kräftezehrend. Um 22:30 erreichten wir dann das teils überflutete Econolodge-Motel und fielen alsbald in einen tiefen Schlaf (trotz andauernder Gewitter die Nacht hindurch).









2023-05-26 ENH Vaughn & Encino-Tornado. Von Tucumcari fuhren wir am Vormittag als Ausgangslage nach Roswell, New Mexico. Nach einigen Alienfotos in der Innenstadt trafen wir die Gruppe um Janek Zimmer, mit der wir uns für die deutlich nördlichere Entwicklung bei Vaughn, NM entschieden, da vor Ort die Unwetter-Parameter nicht mehr optimal waren. Pünktlich zum Eintreffen zeigte sich nahe Encino, NM ein antizyklonaler Tornado. Die Struktur der Superzelle sah zwischenzeitlich prächtig aus, sollte aber bald den Weg für ein nachfolgendes Gewitter frei machen. Wir beobachteten die neue Zelle unter Beschuss durch positive Wolke-Erde-Blitze, die völlig unvermittelt aus dem Amboss um uns herum einschlugen (einige Male in unter 100 m Distanz – akute Lebensgefahr). Am Boden fanden wir Hagelschlossen von 3 cm Größe (aus der vorausgegangenen Zelle). Neben uns hielt der Pickup eines US-Einwanderers auf Urlaubsreise, der völlig unvermittelt zwischen die Storm Chaser geriet. Er gab sich als Deutscher aus Jena-Winzerla (!) zu erkennen – die Welt ist klein. Wir begleiteten die Zelle noch weiter nach Osten, wo sie vom klassischen in den LP-Modus (letzteres steht für ‚low precipitation‘) wechselte, bis sie sich schließlich im Licht der Dämmerung auflösen sollte. Gemeinsam mit einem Einwohner New Mexicos, der für das anstehende Memorial Day-Wochenende auf Rückreise zur Familie nach Clovis befand, ansonsten in Los Alamos als Techniker arbeitete, fotografierten wir noch Blitze und tauschten uns über die Schönheit des Bundesstaates mit seinen – gerade im Osten – gut strukturierten Gewittern aus. Für den Start am Folgetag wählten wir wieder Roswell, NM und ein entsprechendes Motel (das LaQuinta Inn).




2023-05-27 SLGT Fort Sumner Superzelle. Nach einem gemütlichen Frühstück und der Dokumentation von heimischen Purpur-Graukeln und Carolina-Tauben setzten wir uns in Richtung nördliches New Mexico in Bewegung. In Fort Sumner trafen wir an einer All Sup’s Tankstelle auf zahlreiche in der Öffentlichkeit bekannte Storm Chaser, u.a. Daniel Shaw, Pecos Hank und Mike Olbinski. Nach einem kurzen Austausch zur Lage fuhren wir nach Westen aus dem Ort, um in Ruhe die weitere Vorgehensweise inmitten der Quellungsversuche sondieren zu können. Das Zielgebiet grob westlich bis südlich von Clovis, NM (wieder einmal) gab uns hinsichtlich der frühen Auslöse einer südlichen Zelle Rätsel auf. Wir warteten geduldig und wurden mit dem lokalen Erscheinen der Zelle, auf die alle unsere Hoffnungen gründeten, fürstlich belohnt. Im Nordwesten mit Blick auf Lake Sumnor fanden wir uns kurze Zeit später unter dem Amboss mit Blick auf eine dynamische Mauerwolke wieder. Stürmische Inflow-Winde strömten zur Zelle hin, während sie sich uns langsam näherte. Es folgte eine Verlagerung nach Osten, um das rotierende Gewitter weiterhin aus der Nähe beobachten zu können. Inzwischen waren zahlreiche Storm Chaser aus der Umgebung zu uns gestoßen. All betrachteten die Wolkenunterseite auf eine möglich Tornadobildung hin, welche allerdings ausblieb. Danach hieß es abermals: Repositionieren. Über Fort Sumner folgten wir dem Highway 60 bis nach Taiban, NM, wo wir nach der Durchquerung eines Canyons schließlich der nun wundervoll eingedrehten Superzelle erneut begegnen konnten. Die Freude über das Himmelsschauspiel währte nur kurz, mussten wir doch über die Mud Roads weiter nach Osten und Süden dem Hagel entgehen. Die Superzelle verlor nun an Form und unsere Aufmerksamkeit richtete sich auf eine im Westen nachfolgende Entwicklung, der wir uns über Melrose, NM auf Highway 60 annäherten. Sowohl die alte als auch die neue Zelle konnten uns jedoch nicht mehr überzeugen, sodass wir das Chasing abbrachen und in Richtung Nordosten ins neue Zielgebiet für den nachfolgenden Tag aufbrachen. Unterwegs gab es in Clovis, NM beim Twin Cronnies Drive Inn ‚Plains Burger‘ mit Kartoffelspalten und ‚free twisted icecream‘. Wir übernachteten im Country Inn & Suites in Amarillo.






2023-05-28 SLGT Stratfort-Mutterschiff mit Tornado. Nach Frühstück und Einkauf in Amarillo trafen wir uns mit Team 2 und den australischen Storm Chasern Jane & Clyve Herbert an der Pilot-Tankstelle in Stratfort, TX. Nach einigen herzlichen Momenten des Wiedersehens und Austausches sahen wir gen Osten die ersten Zellen entstehen. Während sich die Australier einer Zelle im Oklahoma-Panhandle näherten, setzten wir auf die südlichere Auslöse. Westlich von Morse, TX zeigte sich eine gesunde Aufwindbasis. Janek, der auf diese Entwicklung gesetzt hatte, war zunächst wenig begeistert. Bei näherer Betrachtung stießen wir auf Großhagel (ca. 5 cm), der wenige Minuten zuvor aus der Zelle gefallen war. Gegen 17 Uhr Ortszeit erreichte die Superzelle ihr Aktivitätsmaximum und rotierte mit verdächtigen Absenkungen und Funnelcloud-Ausbildung über einem ländlichen Anwesen. Kurze Zeit später erfolgte die Tornadowarnung des Wetterdienstes. Die Anwohnerin fuhr mit ihren Kindern vom Hof, um zu sehen, ob sich jemand von uns in dem weichen und wassergesättigten Sandboden ihrer Einfahrt festgefahren hätte. Am Ende produzierte das Gewitter keinen Tornado. Die zweite, nachfolgende Zelle erfuhr dann eine große Aufmerksamkeit der Storm Chaser, die aus allen Himmelsrichtungen das nun erfolgversprechende Zielgebiet heimsuchten. Wir ließen diese alsbald zurück, um eine dritte Neuentwicklung im Südwesten von Stratfort, TX anzusteuern. Doch wie die anderen zuvor war auch unsere dritte Zelle des Tages schnell tornado-bewarnt. Wir navigierten uns mit entsprechenden Fluchtrouten in die südwestliche Zugbahn des sogenannten „Hooks“, der eingedrehten Radarsignatur, an der die Tornadobildung bei Superzellen zu erwarten ist. Auf dem Weg dorthin mussten wir eine recht weiche ‚Mud road‘ befahren und stießen zum Schluss auf eine 15 m lange geschlossene Wasserfläche, in der gerade so noch Fahrspuren zu erkennen waren. Vorsichtig und sicher durchquerte Andre den gefluteten Weg und brachte uns in Position zur Zelle. Der Zustrom an feuchtwarmer Luft in das Gewitter war so stark, dass er Staub von den Feldern mit sich zog und die daraus resultierende dunstige Atmosphäre den klaren Blick auf die Zelle versperrte. Doch auch die dritte Zelle war schnell tornado-bewarnt und wir navigierten uns mit entsprechenden Fluchtrouten in dessen zunächst versperrte. Jetzt hieß es schnell sein: Stative raus, Kameras aufbauen, 360-Kamera auf dem Auto starten, Radar im Blick behalten und die sich aus dem Dunst herausschälende Struktur beobachten. In der Tat, die Zelle bildete kurz darauf einen Tornado aus. Wir konnten ihn durch den Staub erkennen. Die Sprache verschlug es uns jedoch eher aufgrund des sogenannten Mutterschiffs, dass sich mit zunehmendem Abstand der Zelle (sie zog jetzt eher westwärts) herausschälte und einen unfassbaren Eindruck einer sehr gut organisierten Mesozyklone (hochreichend rotierender Gewitteraufwind) schaffte. Nach einmaliger Verlagerung nach Westen und erneutem Fotografieren wurde das Gewitter von einer ‚Squall line‘ (Gewitterlinie) überrollt, was uns zur Flucht nach Süden zwang. Um das morgige Zielgebiet zu erreichen, steuerten wir über Dumas und Stinnett, TX nach Nordosten mit Kurs auf Liberal, KS. Bei Spearman noch in Texas holte uns die Linie schließlich ein. Eingebettete Rotation machte uns nach Einbruch der Nacht Sorgen. Wir durchquerten den Bereich vorsichtig – auch um den nahen Hagelschlag zu vermeiden. Der Tag endete erfolgreich im Southwind Inn.







2023-05-29 SLGT Pool & Park. Das überaus erfolgreiche Chasing vom Vortag wurde zum Memorial Day mit Burgern und einem vegetarischen Pesto-Omlette bei IHOP gefeiert. Im Anschluss säuberten wir den Wagen erkundeten Liberal, KS. Dazu zählte auch ein Besuch in ‚Dorothy’s House‘, wo es neben einer heimatgeschichtlichen Ausstellung Mitbringsel zum Thema Zauberer von Oz und Tornados gab. Ab 15 Uhr durften wir unser (an diesem Tag) überaus luxuriöses ‚Studio‘ (dank eines Upgrades) im Fairfield Inn beziehen. Was soll man sagen: viele Steckdosen, neue, sauberere Räume und Platz, um die Koffer umzuräumen. Wir gingen im Pool schwimmen und genossen den freien Tag ohne gewittertechnisch etwas verpassen zu müssen. Thomas und ich besuchten abends noch den Arkalon Park im Nordosten der Stadt, wo wir u.a. einen Rotkopfspecht und Keilschwanzregenpfeifer sahen.


2023-05-30 ENH Air Museum, Cimarron National Grassland mit Shelf cloud. Nach einem guten Frühstück besuchten wir das Mid-American Air Museum und ließen uns von den kleinen wie großen Flugzeugen faszinieren (z.B. B-25 Mitchell, Bell UH-1 Huey, F-14 Tomcat). Zum Mittagessen ging es zu ‚Dairy Kreem‘ in Elkhart, KS für Tacos und Burger. Den Nachmittag und Abend wollten wir schließlich im ‚Cimarron National Grassland‘ verbringen und dort auf die aus Westen und Südwesten hereinziehende Squall line warten. Wir erkundeten den ‚Point of Rock‘, genossen die Ruhe und fotografierten Vögel, wie z.B. den hier weit verbreiteten Truthahngeier. Am Abend wurden dann die Gewitter aus New Mexico und Colorado kommend am Horizont sicher. Zwar blieben die gewünschten diskreten, also einzeln stehenden Gewitter im Vorfeld aus, dafür wurde uns eine grandios beleuchtete Shelf cloud zu Teil, die zusammen mit den Felsen und mit dem weiten Ausblick über das Grasland alle Erwartungen übertraf. Mit Abfahrt nach Süden mussten wir noch einzelne Niederschlagskerne mit Hagel durchfahren und konnten beim Abziehen dieser eine regelrecht vor Donner und Hagel ‚rauschend-grollende‘ stroboskopartig beleuchtete Gewitterwand fotografieren. Glücklich und müde fuhren wir noch eine dreiviertel Stunde nach Boise City, um dort im Townsman Motel abzusteigen.







2023-05-31 SLGT Besuch in Milnesand. Inzwischen haben wir gut zu tun, die an den aktiven Tagen entstandenen Datenmengen täglich unterzubringen. Von den schnellen SSDs galt es nun auf HDD mit mehr Speicherplatz umzusteigen – mit der Einbuße langsamerer Übertragungsgeschwindigkeiten. Das führt teilweise dazu, dass man die abendlich und morgendlich gestarteten Datenübertragungen der Speicherkarten und deren Backups am Folgetag im Auto weiterlaufen lassen muss. Wir trafen Team 2 in Tucumcari, NM wo wir gemeinsam in Del’s Restaurant u.a. Steaks aßen. Zusammen fuhren wir nach Melrose im Süden. Hier eingetroffen fiel sofort die ausgesprochen rote Färbung der Umgebung auf. Es war viel Sand in der Luft und dementsprechend unterirdische Sichtweiten. Die Entstehung von Einzelzellen, die schnell tornado-bewarnt waren, verfolgten wir auf dem Radar. Nach kurzer Zeit des Zögerns steuerten wir schließlich das Gewitter bei Elida, NM an und sahen den Aufwind im Pulk vieler anderer Storm Chaser inklusive des Forschungsprojekts TORUS etwa auf Höhe Milnesand, NM. Die nachfolgenden Entwicklungen sahen zwischenzeitlich nicht mehr gut aus, was uns zum Abbrechen und Rückfahrt nach Clovis, NM bewog. Dort aßen wir noch einmal unter Aufblubbern von V8-Motoren, Starkregen und Donnergrollen bei Twin Cronnies, um anschließend im Super 8 unterzukommen. Kurz vor dem Schlafengehen zog westlich von Clovis noch das Überbleibsel einer Superzelle inkl. Shelfcloud auf. Starkregen und einzelne gewalte Donnerschläge waren die Folge.






2023-06-01 SLGT Ackerly’s low-topped LP. Nach einem Standard US-Frühstück im Super 8 und netten Plausch mit dem Mitarbeiter am Front Desk starteten wir in unser heutiges Zielgebiet bei Lubbock in Texas. Auf einen abziehenden MCS südöstlich der Stadt sollten etwas zwischen Seminole und Lamesa, TX mehrere diskrete Zelle in hochgradig gescherter Umgebung entstehen. Diese konnten wir auch beobachten. Jedoch fehlte es offenbar an Einstrahlung und CAPE, um die gewünschten Superzellen hervorzubringen. So betrachteten wir am Nachmittag einige Low-topped LP’s zwischen Ackerly und Gail, TX, trafen dabei noch einmal Jane und Clyve Herbert von ‚Australian Sky and Weather‘ und fotografierten unsere erste Dosen-Schmuckschildkröte. Unser Übernachtungsort sollte für die kommende Lage Midland, TX werden. Beim Abendessen im Wendy’s tauschten wir uns noch mit Team 2 über den Tag aus und schliefen schließlich im Tru by Hilton.



2023-06-02 ENH Fort Stockton-Tornado. Das Setup für heute sah deutlich besser aus. Bereits mittags sollten die ersten Zellen in hervorragend gescherter Umgebung entstehen. Aus diesem Grund beeilten wir uns mit Frühstück und Einkauf im Walmart für die Fahrt nach Fort Stockton, TX – dem heutigen Zielgebiet. Die Alternative südlich von Lubbock, TX erschien uns aufgrund der Überflutungen des Vortages als wenig attraktiv. Bereits bei der Anfahrt sahen wir den breiten Amboss am Horizont. Gerade so rechtzeitig konnten wir die erste Zelle des Tages auf ihrer Ostseite überholen und so den gewünschten, verifizierenden Blick auf die rotierende Mauerwolke als Abgleich zum Hakenecho des Radars erhaschen – da kam bereits die Tornadowarnung über Radio und Smartphone herein. Wir verlagerten uns in den Osten von Fort Stockton und wollten aufgrund der östlichen Zugbahn des Gewitters den Highway 67 nach Nordosten nehmen. Vor Ort landeten wir aber in einer einspurigen Baustelle mit Ampel und einigen anderen Chasern hinter uns. Wir brachen ab und fuhren stattdessen die Interstate 10 auf einer Service Road entlang, wo wir kurz vor der Abfahrt zu Farm Road 2023 schnell hielten. Die Zelle hatte nun einen südöstlichen Kurs eingeschlagen (die Baustellenroute wäre so durchaus schlecht gewesen) und wir standen an der Interstate perfekt für das aufziehende Rotationszentrum. Die Blitzrate steigerte sich noch einmal und um uns herum schlugen wiederholt positive Entladungen in der Fläche ein. Mit unguten Gefühlen diese Unsicherheit betreffend aber fasziniert vom Himmelsschauspiel holten wir die Stative raus und starten Zeitraffer, Foto und Film. Obwohl Team 2 in ein einem anderen Motel übernachtet hatte, tauchten sie ohne weitere Abstimmung plötzlich vor uns auf, sodass wir die Szenerie gemeinsam genießen konnten. Die türkise Färbung der Basis gepaart mit den Blitzen und gegenläufigen Regenvorhängen, die auf starke Rotation schließen ließen, beschreiben in etwa, wieso wir Storm Chaser immer wieder Gewitter und deren Erscheinungsform sehen wollen. Doch es kam noch besser: im Rotationszentrum wurde plötzlich eine Absenkung sichtbar, die sich schnell als Funnel cloud (dt: Trichterwolke) zeigte. Nur wenige Sekunden später stand ein vollständig auskondensierter Tornado vor uns und schraubte sich mit einer deutlichen Staubwolke in ca. 2,5 km Distanz durch den Sand der Prärie. Alles wirkte wie in Zeitlupe. Wir staunten, schwiegen, murmelten, filmten, genossen und flohen schließlich als ein scharf krachender Naheinschlag (unter 100 m) uns zurück in die Autos zwang. Auf der I10 gen Osten unterlag die Wahl der nächsten Abfahrt zunächst der Abwägung, wie weit unsere Tankfüllung noch reichen würde. Die Farm Road 2886 würde uns noch einmal näher an die Superzelle im Pecos County heranführen. Da wir in Fort Stockton aufgrund des frühen Gewitteraufzugs samt Tornadowarnung (Tankstellen sind dann geschlossen) nicht mehr tanken konnten, wurde uns bei 90 Meilen bis zur nächsten Gas Station nahe der mexikanischen Grenze (150 Meilen Rest) mulmig zu Mute. Wir gingen auf Nummer sicher, ließen die Zelle im Pecos County zunächst ziehen, fuhren über den Highway 190 i(m) Iraan, TX tanken, um uns schließlich über Highway 349 und Farm Road 2400 wieder in Position für die weiter südöstlich ziehende tornadische Zelle zu bringen. Während die Fahrt in der Regel durch tiefe Canyons führte, bekamen wir hin und wieder auf der Ebene gute Sicht nach Westen. Hier standen vereinzelt Chaser, die aus jeweils individuellen Gründen, diese Route gewählt hatten. Langsam aber stetig zog die weiterhin tornado-bewarnte Zelle auf uns zu. Das Rotationszentrum überquerte die Farm Road nördlich von uns, während wir uns auf das südliche Ende für die Entstehung einer neuen Basis fokussierten. Insgesamt machte die Superzelle auf unserer Höhe den Eindruck der Reorganisation, was wir zur erneuten Verlagerung nutzten und zurück nach Nordosten über die 349 im Terrell County weiter nach Süden fuhren. Auf dem Weg zur T-Kreuzung mussten wir dicht an den Hagelkern der Superzelle heranfahren und fanden plötzlich eine eingebettete Rotation direkt neben uns vor, die wir mit aller Vorsicht über uns hinweg ziehen ließen. Die dritte Begegnung mit der Superzelle fand wieder unter scharfen Beschuss durch Erdblitze statt, was die baldige Rückkehr ins Auto zur Folge hatte. Von dort an zeigte sich auch eine Neuentwicklung südlich von Sanderson am Highway 90 auf dem Radar. Die Überlegung war nun, diese Zelle östlich auf dem Highway zu überholen, solange noch Zeit und entsprechender Abstand zum Hagelkern (an dem Tag potentiell bis 10 cm) bestand. Da die Fort Stockton-Zelle im Nordwesten von uns zu diesem Zeitpunkt mit anderen südlich anbauenden Entwicklungen eine Linie zu bilden schien und wir ohnehin von diesem bereits früh begonnenen Chasingtag zusammen mit der Reihe an der Erlebnissen der vergangenen Woche erschöpft waren, gab es gegensätzliche Meinungen für eine Weiterfahrt Richtung Südosten auf Highway 90 an der mexikanischen Grenze entlang. Hagel bedingt mussten wir am Ende so oder so über die Kreuzung von 349 und 90 den Rückweg nach Fort Stockton antreten, was uns zu einem wunderbaren Regenbogen und einer plötzlichen Tornadomeldung der freistehenden Superzelle führte. Wir versuchten noch von hinten durch den Hagelkern an die Zelle heranzufahren, während der Tornado rechts neben und für uns unsichtbar zwischen Highway 90 und mexikanischer Grenze weiterzog. Als die Sicht nicht besser zu werden und der vor uns langziehende Hagelkern die 90 nicht zu verlassen schien, brachen wir schließlich das Chasing ab. Etwas enttäuscht, ob des entgangenen zweiten Tornados, traten wir die Rückfahrt an. Dieses Gefühl wich jedoch schnell wieder dem omnipräsenten Glücksmoment, auf dieser Reise bereits sehr viele unterschiedliche Höhepunkte erlebt haben zu dürfen. In dieser Stimmung der Dankbarkeit betrachten wir die abziehende zweite tornadische Superzelle mit einem gigantischen Mammatus-Eisschirm und vielen Blitzen nahe des starken, wunderschön eingedrehten Aufwindturms. Gegen Mitternacht bezogen wir dann im Days Inn in Fort Stockton, TX müde und glücklich Quartier.









2023-06-03 MRGL Reifenpanne in San Antonio. Nach einer durchwachsenen Nacht mangels guter Luft im Motel erwachten wir in Fort Stockton, Texas. Bis 11 Uhr hieß es Daten kopieren und sicheren, danach ging es nach einem kurzen Plausch mit Mike Olbinski zum Auto säubern und Mittag im K-Bob’s Steakhouse. Mit einer möglichen Chasing-Option machten wir uns zum Sightseeing gen Südosten auf den Weg. Die nachfolgenden Tage sollten nämlich größtenteils unwetterfrei werden. So zeigte sich der Himmel demonstrativ strahlend blau, als wir noch einmal östlich der Stadt auf der Service Road ein Vergleichsbild zum Vortag erstellten (Unsere Wahl fiel auf Houston, TX mit dem Space Center. Kurz vor San Antonio hörten wir ein lautes Schnarren hinten links unter dem Auto und stellten einen Reifenschaden fest. Schnell zog Andre auf die Emergency Lane und hielt. Der Reifen war während der Fahrt geplatzt. Die Roadsite Assistance von Alamo organisierte uns einen Abschlepper. Es kam jedoch nur ein kleiner Pickup mit einem Mann samt Frau und Kleinkind im Auto, der unser Reserverad freilegte und direkt an der vielfach befahrenen rechten Spur der Interstate – wohlbemerkt in einer schlecht einsehbaren Rechtskurve stehend – binnen 5 Minuten erfolgreich wechselte. Den kaputten Reifen im Gepäck wollten wir den Wagen bei Alamo am San Antonio Airport tauschen, was wir mangels passendem Ersatzwagen aber nicht konnten. Also bezogen wir zunächst unser Motel (das Candlewood Suites), um tags drauf das Rad hinten links reparieren zu lassen.






2023-06-04 MRGL Sonntagsreifen und Downtown Houston. Am nächsten Morgen begann zunächst die Suche nach der passenden Werkstatt. Alamo nannte uns vier Firmen, mit denen sie kooperieren würden. Zudem war Sonntag. Adresse Nr. 1 Firestone war zwar geöffnet, hatte aber nur einen ausgelasteten Techniker vor Ort. Bei Goodyear (Nr. 2) hätte es 3 Stunden gedauert. Die Pep Boys boten uns unterdessen einen Reifenwechsel in 30 Minuten an. Dort eingetroffen, dauert es noch eine Weile bis der Front Desk die Rechnung an Alamo richtig verbuchen konnte (läuft nämlich über Enterprise). Die eigentliche Ausstattung mit einem neuen Reifen war in weniger als einer halben Stunde erledigt. Insgesamt ist der Servicegedanke in den USA beispiellos. Ein Kunde hinter mir fragte z.B. „Can you tell me a place where I can do the inspection on sunday?” – und er bekam eine Reihe an Firmen genannt, die dies anbieten würden. Nachdem mir Brendon, der Front-Desk-Mitarbeiter, berichtete, dass er aufgrund seines Vaters (Airforce) in Deutschland kurz vor dem Fall der Mauer geboren worden sei und unbedingt einmal zurückkehren wolle, war unser Wagen auch schon wieder fahrbereit. Glücklich darüber, dass unser Auto nicht getauscht werden musste und wieder einsatzbereit war, frühstückten wir bei Denny’s und fuhren anschließend weiter nach Houston. Die Durchquerung der Stadt in Richtung Südosten führte uns direkt über Downtown. Abends bezogen wir unser zweitägiges Motel (Kemnah Edgewater) auf der „NASA Road 1“ in Seabrook. Nach all der bewegungsfreien Fahrerei machten wir einen kurzen Spaziergang inkl. Eis bei feuchtwarmer Meeresluft (82 °F über 68 °F = 28 °C 2m-Temperatur über 20 °C Taupunkt). Bei dem Versuch dem nahen Clear Lake einen Besuch abzustatten, fiel auf, wie schwer der quasi überall privatisierte Zugang zum See war.




2023-06-05 TSTM Space Center Houston und Filmabend. Mit einem überschaubar nahrhaften Frühstück im Magen starteten wir den von Andre vorgeschlagenen Besuch des Space Center Houston unweit unserer Unterkunft. Neben der Ausstellung über verschiedene Raumfahrtprogramme samt beeindruckender Artefakte (diverse Mondgesteine, Kampfpilotinnenanzug von Astronautin Judith Resnik, die am 28.01.1986 in der Challenger-Katastrophe ums Leben kam oder dem Anzug von Michael Collins, Astronaut der Apollo 11-Mission) faszinierten uns vor allem die Außenbereiche und Touren. Direkt am Eingang sahen wir das international bekannte Shuttle Carrier Aircraft (SCA) – die Space Shuttle Replik ‚Independence‘ im Huckepack einer Boing 747-100. Das Innenleben wurde zu Ausstellungsräumen ausgebaut. Unweit davon liefen wir zu einer gebrauchten Falcon 9 von Space X, die mit ihrer spektakulären Rückkehr und Landung in Florida jüngst Geschichte schrieb. Ohne jeden Zweifel war der Anblick einer „echten“ Saturn V (zusammengebaut aus den abgesagten Missionen 17, 18 und 19) nebst einer verwendeten – im Vergleich winzigen – Mercury-Kapsel das eigentliche Highlight. Die Verzahnung zwischen Ausstellung und dem angrenzenden Johnson Space Center (JSC) ist durchaus bemerkenswert. Ein Tram fährt die Besucher in den gesicherten Bereich, wo wir uns das historisch bedeutsame Christopher C. Kraft Jr. Mission Control Center ansahen – hier wurden u.a. die Apollo-Missionen begleitet. Heute wird die ISS seitens der USA von hier überwacht. Doch nicht nur das, uns wurden viele weitere Raumfahrt- bzw. Forschungseinrichtungen auf dem Gelände vorgestellt. Darunter sind einige Gebäude karg und fensterlos, um Hurricanes wiederstehen zu können. Zum Abschluss nahmen wir an einer Begehung des Astronaut Training Facility teil. Wie im MCC ermahnte man uns auch hier, dass wir Regierungsgebäude im laufenden Betrieb betreten würden und man uns jederzeit rausschmeißen könne, wenn wir die Arbeit stören sollten. Die Parkflächen am Eingang wiesen passend „Astronaut / Cosmonaut Parking Only“ aus. Im Gebäude sahen wir das ISS-Mockup (Trainingsgelände für die internationale Raumstation) und Bereiche, wo z.B. für die aktuellen ARTEMIS-Missionen zum Mond geübt wird. Gesättigt an Eindrücken aber mit deutlichem Hunger im Bauch verabschiedeten wir uns noch von der NASA und gingen unweit des Motels im Las Anita’s hervorragend mexikanisch essen. Der Tag sollte mit einem gemütlichen Filmabend enden.






2023-06-06 TSTM Galveston Library, Strand und Brazoria National Wildlife Reserve. Für diesen Tag hatten wir uns die Stadt Galveston vorgenommen. Sie wurde 1900 vom bislang verheerendsten Hurrikan der amerikanischen Geschichte mit über 10.000 Toten verwüstet. In der Rosenberg Library fanden wir hierzu eine anschauliche Ausstellung. Die Architektur des wiedererbauten Ortes am Golf von Mexiko reicht von einfachen Strandhäusern als Pfahlbauten bis zu steinernen Gebäuden im Stadtkern. Unsere Weiterfahrt am Strand von Galveston Island führte zweimal zu Badeaufhalten an den öffentlichen Strandzugängen (#10 und #16). Die Temperatur des Wassers (85 °F / 29 °C) übertraf die der Umgebung (80 °F / 27 °C) – man bekam einen guten Eindruck, wie viel Energie das warme Wasser dieser „Badewanne“ für Stürme bereitheilten muss. Inzwischen waren auf dem Festland einige Schauer und Gewitter entstanden, die ein wundervolles Panorama und einen willkommenen Sonnenschirm boten. Am Strandzugang #16 warnte ein Schild vor Klapperschlangen in der Düne, die vor Nagetieren nur so wimmelte; während am vorherigen Abschnitt um Meldung von Meeresschildkrötensichtungen gebeten wurde. An der Küste waren zahlreiche Braunpelikane, Schneesichler, Aztekenmöwen, junge Königs- und Brandseeschwalben auf Nahrungssuche zu beobachten. Die Weiterfahrt führte uns über die San Luise Pass Toll Bridge nach Freeport und von da aus zu meinem persönlichen Highlight des Tages: das Brazoria National Wildlife Refuge, wo wir in gerade einmal 1,5 h Kurzaufenthalt folgendes aus nächster Nähe sahen: den amerikanischen (bzw. Mississipi-)Alligator von einem bis über drei Meter Länge, amerikanische Stelzenläufer, Keilschwanzregenpfeifer, Herbstpfeifgans mit Jungen, Amerikateichhuhn, Schopfkarakara, Rotschulterstärling, Silberreiher, Dreifarbenreiher, Schmuckreiher, Kanadareiher, Dohlengrakel, Rosalöffer, Westliche Bändernatter, Schlammtreter und mehr. Auf der Rück- und Weiterfahrt nach Rosenberg, wo wir im Holiday Inn übernachten sollten, zeigte sich noch ein schöner Regenbogen, der uns vielleicht auf die abendlich stattfindende Wäsche unserer Klamotten im Motel einstimmen sollte.
















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Viel Spaß 🙂
Viel Erfolg, spannendes Licht und kommt heile wieder!
Ein schöner Einstieg! Ich habe schon mal den Atlas aufgeschlagen…
VG RH
Vielen Dank und guten Morgen aus Denver!
Gute Reise und viel Erfolg! Bin auf eure Erlebnisse gespannt!